Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens
von Jakob Wassermann (Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart und Leipzig 1908) In seinem erfolgreichen Roman erzählt Jakob Wassermann in unvergleichlich kraftvoller Prosa die Geschichte der letzten Lebensjahre Caspar Hausers. Im Jahr 1828 wird der junge Mann, dessen Herkunft völlig im Dunkeln liegt, in Nürnberg aufgegriffen. Er kann kaum sprechen und schreiben und ist anscheinend geistig zurückgeblieben. Gymnasialprofessor Daumer nimmt sich seiner an, und die Erziehung des Findlings macht schon bald Fortschritte. |
Ansbach - Portal Gumbertuskirche
Vor dem Portal der Gumbertuskirche blieb Stanhope stehen und forderte Caspar auf, mit hineinzugehen. Caspar zögerte, folgte jedoch dem Grafen in den hohen, schmucklosen, von schwarzem Gebälk überdachten Raum.
Vor dem Portal der Gumbertuskirche blieb Stanhope stehen und forderte Caspar auf, mit hineinzugehen. Caspar zögerte, folgte jedoch dem Grafen in den hohen, schmucklosen, von schwarzem Gebälk überdachten Raum.
Ansbach - Altar Gumbertuskirche
Mit raschen Schritten eilte Stanhope zum Altar, warf sich mit den Knien auf die steinernen Stufen, beugte die Stirn herab und verblieb so in vollkommener Unbeweglichkeit.
Caspar, peinlich berührt, schaute sich unwillkürlich um, ob niemand Zeuge dieser demütigen Handlung sei.
Aber die Kirche war leer.
Mit raschen Schritten eilte Stanhope zum Altar, warf sich mit den Knien auf die steinernen Stufen, beugte die Stirn herab und verblieb so in vollkommener Unbeweglichkeit.
Caspar, peinlich berührt, schaute sich unwillkürlich um, ob niemand Zeuge dieser demütigen Handlung sei.
Aber die Kirche war leer.
Ansbach - Appellgerichtsgebäude
Es war an einem unfreundlichen Vormittag im März, da verbreitete sich plötzlich im Appellgerichtsgebäude und bald darauf in der ganzen Stadt die Nachricht, der Präsident sei im großen Gerichtssaal während einer Verhandlung, die er leitete, ohnmächtig vom Stuhl gestürzt. Alle Beamten liefen sofort aus ihren Zimmern und standen alsbald auf den Treppen und Korridoren.
Auch Caspar hatte seinen Arbeitstisch verlassen und gesellte sich zu den übrigen. Er schlich aber absichtlich wieder davon, um nicht Zeuge sein zu müssen, wie man den Präsidenten von oben heruntertrug.
Es war an einem unfreundlichen Vormittag im März, da verbreitete sich plötzlich im Appellgerichtsgebäude und bald darauf in der ganzen Stadt die Nachricht, der Präsident sei im großen Gerichtssaal während einer Verhandlung, die er leitete, ohnmächtig vom Stuhl gestürzt. Alle Beamten liefen sofort aus ihren Zimmern und standen alsbald auf den Treppen und Korridoren.
Auch Caspar hatte seinen Arbeitstisch verlassen und gesellte sich zu den übrigen. Er schlich aber absichtlich wieder davon, um nicht Zeuge sein zu müssen, wie man den Präsidenten von oben heruntertrug.
Ansbach - Turm der St. Johanniskirche
Eine ihrer Leidenschaften bestand darin, auf Türme zu steigen; auf dem Turm der Johanniskirche wohnte ein alter Glöckner, ein weiser Mann in seiner Art, durch lange Einsamkeit beschaulich und sanft geworden; sie scheute nicht die Anstrengung der vielen hundert Stufen und lief oft zweimal täglich zu dem Alten hinauf, plauderte mit ihm wie mit einem Freund oder lehnte über die eiserne Brüstung der
schmalen Galerie und schaute über das Land in die Fernen. Der Glöckner hatte sie auch so ins Herz geschlossen, daß er zu gewissen Abendstunden nach der Richtung des Imhoffs-Schlösschens verabredete Zeichen mit seiner
Laterne gab.
Eine ihrer Leidenschaften bestand darin, auf Türme zu steigen; auf dem Turm der Johanniskirche wohnte ein alter Glöckner, ein weiser Mann in seiner Art, durch lange Einsamkeit beschaulich und sanft geworden; sie scheute nicht die Anstrengung der vielen hundert Stufen und lief oft zweimal täglich zu dem Alten hinauf, plauderte mit ihm wie mit einem Freund oder lehnte über die eiserne Brüstung der
schmalen Galerie und schaute über das Land in die Fernen. Der Glöckner hatte sie auch so ins Herz geschlossen, daß er zu gewissen Abendstunden nach der Richtung des Imhoffs-Schlösschens verabredete Zeichen mit seiner
Laterne gab.
Ansbach - Schlossdurchlass
Als er sich von der Hofapotheke rechts gegen den Schloßdurchlass wandte, schlug es dreiviertel. Da rief jemand; er blickte empor, der Fremde von gestern stand neben ihm. Er trug einen Mantel mit mehreren Kragen und darüber noch einen Pelzkragen. Er verbeugte sich und sagte ein paar höfliche Worte. Caspar verstand ihn nicht, denn der Wind war gerade so heftig, dass man hätte schreien müssen, um einander zu hören. Daher machte der Fremde bloß eine Gebärde, durch die er Caspar bat, mit ihm gehen zu dürfen.
Als er sich von der Hofapotheke rechts gegen den Schloßdurchlass wandte, schlug es dreiviertel. Da rief jemand; er blickte empor, der Fremde von gestern stand neben ihm. Er trug einen Mantel mit mehreren Kragen und darüber noch einen Pelzkragen. Er verbeugte sich und sagte ein paar höfliche Worte. Caspar verstand ihn nicht, denn der Wind war gerade so heftig, dass man hätte schreien müssen, um einander zu hören. Daher machte der Fremde bloß eine Gebärde, durch die er Caspar bat, mit ihm gehen zu dürfen.
Ansbach - Schlosspark
In dem Zeitraum, den er brauchte, um von dem Pförtchen über den dichtbeschneiten Orangerieplatz zu den Bäumen der ersten Allee zu gehen, durchlebte er in seinem Innern eine Reihe gänzlich unzusammenhängender Szenen aus ferner Vergangenheit, eine Erscheinung, die von Seelenforschern auf dieselbe Wurzel zurückgeführt werden kann wie etwa die, dass ein von einem Turm Fallender während der Zeit des Sturzes sein ganzes Dasein an sich vorübergleiten sieht.
In dem Zeitraum, den er brauchte, um von dem Pförtchen über den dichtbeschneiten Orangerieplatz zu den Bäumen der ersten Allee zu gehen, durchlebte er in seinem Innern eine Reihe gänzlich unzusammenhängender Szenen aus ferner Vergangenheit, eine Erscheinung, die von Seelenforschern auf dieselbe Wurzel zurückgeführt werden kann wie etwa die, dass ein von einem Turm Fallender während der Zeit des Sturzes sein ganzes Dasein an sich vorübergleiten sieht.
Kopfbild © Norbert Mebert 2024